La storia

Raus aus der Vitrine

28. agosto 2025

Das Museum für Gestaltung Zürich feiert sein 150-jähriges Bestehen und blickt mit der Ausstellung „Museum of the Future“ nach vorne. Wie sieht es aus, das Museum der Zukunft?

Es gibt viele Dinge, die in einem klassischen Rahmen nicht ausgestellt werden können, entweder weil sie zu klein oder zu gross sind, weil sie noch nicht oder nicht mehr existieren, oder aber weil sie eigentlich berührt werden möchten, was aber aus konservatorischen Gründen oft nicht geht.“ Christian Brändle, Direktor des Museums für Gestaltung Zürich, ist Kurator der Ausstellung „Museum of the Future“, die durch die Digitalisierungsinitiative der Zürcher Hochschulen unterstützt wird. Zusammen mit Sarah Kenderdine, Direktorin Laboratory for Experimental Museology, eM+, EPFL Lausanne, hat er diese Schau zusammengestellt, die unmöglich Auszustellendes zeigt. 

Foto einer Maske mit digitalem Netz, dunkler Hintergrund.
Visualisierung der digitalen Aufbereitung mittels Polygonreduktion einer Gürtelmas-ke aus der Sammlung des Museum Rietberg, Zürich, Bild: Roman Jurt, ZHdK, 2025, © Museum für Gestaltung Zürich

17 Experimente sollen dabei den Ausstellungsraum in ein Zukunftslabor verwandeln, das die Möglichkeiten und Grenzen digitaler Technologien aufzeigt. Ob dies gelingt, entscheidet schlussendlich das Publikum. Was genau bedeutet der Begriff des Labors und der Experimente für ihn und für die Rolle des Museums heute? 

 

«Es ist nicht mehr der Direktor auf dem Marmorsockel, der einem die Welt erklärt. Der Ausstellungsraum ist nun ein Verhandlungsraum», sagt Brändle. Es könne also durchaus sein, dass man in dieser Ausstellung Dinge sehe, die schlicht nicht funktionieren oder die im Original doch besser sind. «Aber das findet man nur heraus, indem man es ausprobiert. Die Funktionalität und Akzeptanz bei den Besucher:innen wird dann vom Citizen Science Center der Universität Zürich und der ETH Zürich erforscht, um für das Ausstellungserlebnis der Zukunft zu lernen.» 

 

Die Experimente des Museum of the Future reichen dabei vom Entschlüsseln antiker Schriften über den Dialog mit den Avataren der Stabpuppen des Künstlers Fred Schneckenburger bis hin zum weltweit grössten digitalen Bild oder der Installation Remixing the Archives (2025) von Grit Wolany, die das Spannungsfeld zwischen historischen Designklassikern und KI-generierten Neuinterpretationen erforscht – Sparschäler reloaded.

Neue Bewegungsfreiheit

Mehrere Projekte beschäftigen sich ausserdem mit den Marionetten von Sophie Taeuber-Arp. Die Bespielbarkeit der Originale ist heute aus konservatorischen Gründen ausgeschlossen. Als digitale Kopien gewinnen sie jedoch neue Freiheiten und bewegen sich über die Grenzen einer klassischen Vitrinenausstellung hinaus. Im virtuellen Theater laden die Puppen zu einem Rollenwechsel ein: Die Zuschauer:innen werden zu Darstellenden, welche die Bewegungen der Marionetten mit ihrem Körper steuern. Ausgehend von Sophie Taeuber-Arps Marionettenspiel König Hirsch (1918) haben Studierende des Minors Digital Play der ZHdK vier neuartige Playful Experiences realisiert, die das ausgeklügelte und regelhafte Zusammenspiel von Farbe, Form und Bewegung der 17 Figuren erlebbar machen. Die selbstentwickelten Interfaces laden dazu ein, das Geschehen auf den Bildschirmen aktiv zu beeinflussen. 

Abstrakte Figur auf rotem Hintergrund, blau-weisses Design.

Ein in der Ausstellung gezeigter Kurzfilm ist zudem das Ergebnis einer experimentellen Auseinandersetzung von Studierenden im Studiengang Cinematic Narration in Virtual Spaces mit dem Skript des Marionettentheaters. Der vollständig computergenerierte Film thematisiert, wie mit digitalen Werkzeugen eigene künstlerische Ausdrucksformen im digitalen Raum gefunden werden können. 

Im Beitrag des Immersive Arts Space der ZHdK Conversations with Puppets – The Revived Puppets of Fred Schneckenburger (2025) kann das Publikum mit den Stockpuppen von Fred Schneckenburger in Dialog treten. Der vielseitige Künstler gründete nach dem Zweiten Weltkrieg das Puppencabaret Fred Schneckenburger in Zürich und feierte mit seinen Sketches europaweit Erfolge. Vier der originalen Stockpuppen aus der Sammlung des Museums für Gestaltung Zürich sind für diese Installation photogrammetrisch erfasst und digitalisiert worden. Geplaudert werden kann mit dem scheinbar allwissenden Kaspar oder dem strengen Polizisten.

Person betrachtet ein digitalisierte Stabpuppe
Interaktion mit der Stockpuppe Kaspar von Fred Schneckenburger: Mithilfe eines Large Language Models kann im Hier und Jetzt mit den Puppen aus den 1950er- und 1960er-Jahre gesprochen werden. Foto: Chris Elvis Leisi, 2025

Das grösste je geschaffene digitale Bild

Auch ein Weltrekord wird in der Ausstellung zu sehen sein: Das digitalisierte Panoramabild „Schlacht bei Murten“ wurde im späten 19. Jahrhundert zum 400. Jahrestag des historischen Ereignisses geschaffen und zählt heute zum Schweizer Kulturerbe. Das rund 1000 m2 grosse Gemälde wurde digital genau erfasst. Das Resultat ist mit 400 000 mal 4 000 000 Pixeln das aktuell grösste digitale Bild der Welt. Seine interaktive Darstellung ermöglicht es, das mit 3D-Elementen und einer Klanglandschaft angereicherte Gemälde über sein traditionelles Format hinaus und im kleinsten Detail zu erkunden. 

 

«Das Panoramabild ist eigentlich darauf angelegt, dass sich Betrachtende ihm auf nicht weniger als 8 Meter nähern. Die Maler wussten das und haben stellenweise sehr grobschlächtig gepinselt», erläutert Christian Brändle. «Unser Auge ist unendlich gutmütig. Wir sehen eigentlich, was wir sehen möchten. Aus ein paar grünen Flecken wird ein Wald. Und das siehst du natürlich jetzt mit diesem Zugang extrem genau, weil du konstant rein- und rauszoomen kannst.» 

 

Personen betrachten ein grosses, gebogenes Kunstwerk in einem dunklen Raum.
Das rund 1000 m2 grosse Panoramagemälde Schlacht von Murten (1893/94) wurde digital erfasst und ist mit 1,6 Terapixeln das aktuell grösste digitale Bild der Welt. Terapixel Panorama, 2025, © Laboratory for Experimental Museology, EPFL

Anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des Museums und in Kollaboration mit Swissnex, dem weltweit tätigen Schweizer Netzwerk für Bildung, Forschung und Innovation, wurden zudem sechs zeitgenössische Designer:innen und Künstler:innen aus Brasilien, China, Indien, Japan, Südafrika und den USA eingeladen, jeweils ein Exponat für die Ausstellung zu produzieren. «In ihren Arbeiten haben die Designer:innen den historischen Kontext einzelner Sammlungsobjekte aus dem Bestand des Museums mit Themen verbunden, die ihre eigene gestalterische Praxis heute prägen», erklärt Sophie Grossmann, Initiatorin und Kuratorin des Projektes. 

 

«Im Verlauf eines fast einjährigen Prozesses sind durch die intensive Auseinandersetzung mit den ausgewählten, analogen Objekten – und aus unterschiedlichen Perspektiven und gestalterischen Zugriffen – sechs künstlerische Reinterpretationen entstanden. Diese Werke eröffnen einen vielstimmigen Dialog über Zeiten, Disziplinen und Kontinente hinweg und vermitteln einen Eindruck davon, was ‚The Global Future(s) of Design‘ heute bedeuten kann.» 

 

Braucht es in dieser zunehmend digitalen Welt überhaupt noch den physischen Ort des Museums? Brändle ist überzeugt, dass das Bedürfnis danach mehr denn je besteht. «Wir sehen das auch am Erfolg, den die Museen international haben. Die Leute wollen das echte Leben. Sie möchten ein Gegenüber, gemeinsam etwas erleben, andocken an eigene Geschichten, das Kuratierte. Die digitale Welt ist wie ein Fernrohr, das extrem scharf einstellt, aber du siehst immer nur das eine oder das andere. In der Ausstellung versuchen wir das, was die Exponate ‚beseelt’, über das Digitale wieder sichtbar zu machen.» Sieht Brändle nicht auch die Gefahr, dass vor lauter Partizipation, Digitalisierung und Edutainment die Ernsthaftigkeit der Vermittlung abhandenkommt? «Wenn die Spassparty den Inhalt links überholt, dann wird es schwierig. Wir machen das auch nicht, weil wir denken, in fünfzig Jahren werde es nur noch solche Ausstellungen geben. Wir machen es, um herauszufinden, in welche Richtung die Entwicklung führen kann, damit sie für alle, für uns, für die Häuser, aber eben auch für das Publikum ein Gewinn ist.»

Dieser Artikel wurde von Leoni Hof, Co-Leiterin Content und PR Zürcher Hochschule der Künste ZHdK, verfasst fürs Zett, das Magazin der ZHdK.