Story
Lora Lamm zählte mit ihrem Schaffen in den 1950er-Jahren zu den innovativsten Grafikerinnen der Schweiz – und wurde doch erst nach 2000 wiederentdeckt. Am 16. März ist sie im Alter von 97 Jahren in Zürich verstorben.
Aufgewachsen in Arosa, besuchte sie von 1946 bis 1951 die Grafikfachklasse bei Ernst Keller an der Kunstgewerbeschule Zürich. 1953 brach sie nach Mailand auf und gehörte in dieser wirtschaftlich boomenden, kulturell höchst lebendigen Metropole zu den Pionierinnen im Grafikdesign. Lamm arbeitete zunächst für kurze Zeit im renommierten Studio Boggeri. Mit ihrer Mappe unter dem Arm und wenig Italienischkenntnissen, aber einem Charme, der ihr bis ins hohe Alter eigen blieb, zog sie dann von Agentur zu Agentur. Im Lebensmittelunternehmen Motta fand sie in der Abteilung für Verpackungsdesign eine weitere kurze Anstellung. 1954 wechselte Lamm in die Werbeabteilung des Lifestyle-Warenhauses La Rinascente, wo schon Max Huber tätig war, und übernahm dort bald die Leitung. Verantwortlich für das visuelle Gesamtkonzept des Warenhauses, suchte Lamm nach einem einheitlichen und dennoch originellen Erscheinungsbild. Illustrative Tendenzen US-amerikanischer Gestalter:innen beeinflussten sie ebenso wie der undogmatische Zugang in der italienischen visuellen Kommunikation. Lamm fand zu einem eigenwilligen Stil, in welchem sie Illustration, Typografie und Fotografie verband. Subtiler Witz und feine Poesie sind charakteristische Elemente ihrer Arbeiten, die sich vor allem an die selbstbewusste, eigenständige Frau der Nachkriegsjahre richteten.
1958 entschied sich Lamm, nur noch als freie Mitarbeiterin für La Rinascente zu arbeiten. Dies ermöglichte ihr, Aufträge für andere Kunden wie Pirelli, Elizabeth Arden, Niggi oder Latte Milano anzunehmen. 1963 kehrte Lamm nach Zürich zurück, wo sie zunächst als Freelancerin, später als Partnerin in der Werbeagentur Frank C. Thiessing tätig war. Sie realisierte noch zahlreiche werbegrafische Arbeiten für nationale und internationale Kunden, verabschiedete sich jedoch bewusst von der für ihr Mailänder Schaffen typischen Illustration, da sie keinen «Stil» prägen, sondern Werbung machen wollte. Weiterhin führte sie noch bis 1966 Aufträge für italienische Kunden aus.
«Es braucht das leise Lächeln, nicht das schallende Gelächter.»
Und doch sind es Lamms Arbeiten für La Rinascente, die bis heute mit ihrem zeitlosen Auftritt auch junge Gestalter:innen und Kunstschaffende begeistern. 2007 zeigte das Museum für Gestaltung Zürich im Rahmen der Ausstellung Zürich-Milano Lamms Arbeiten zusammen mit jenen anderer Schweizer:innen, die damals in Mailand tätig waren. Diese Gruppenausstellung war insofern von Bedeutung, da sie Lamms grafische Unabhängigkeit im Kreis ihrer Kollegen aufzeigte, die alle viel stärker dem Swiss Style verhaftet blieben – und ihre Arbeiten erstmals einem breiten Schweizer Publikum bekannt machten. Möglich geworden war dies nicht zuletzt durch ihre Schenkung einiger Arbeiten an das Museum. Nun wuchs Lamms später Ruhm kontinuierlich, was sie sichtlich genoss. 2013 würdigte das Museum sie erneut mit einer kleinen Hommage anlässlich ihres 85. Geburtstages, während das m.a.x.-museo in Chiasso ihr eine Einzelausstellung widmete. 2015 kam sie zu Ehren, als ihre Ausstellung La vita è bella im Museum für Gestaltung Zürich gezeigt und ihr der Schweizer Grand Prix Design verliehen wurde. Es war auch das Jahr, in welchem Lamm, autonom in ihren Entscheidungen wie immer, beschloss, ihren gesamten Vorlass an das Museum für Gestaltung Zürich zu übergeben und eine kleine Wohnung im Terzianum in Zürich-Höngg zu beziehen.
Auch von dort aus brach Lamm immer wieder auf Kulturreisen auf, besuchte Konzerte, Ausstellungen und Theater. Angeregt sprach sie bis zuletzt ebenso lebendig über die Weltpolitik wie über ihre Literaturerlebnisse – sie las in vier Sprachen –, über Künstler:innen, über Musik. Noch in hohem Alter lernte sie den Umgang mit Zeichenprogrammen am Computer. Ihre körperliche Robustheit verdankte die zierliche Frau ebenso ihren Seebädern bei jeder Temperatur wie dem Pilates. Der Rollator sei nur ein vorübergehender Begleiter, so meinte sie bis zuletzt. Anlässlich der Ausstellung Königinnendisziplin zur Plakatgestaltung von Frauen nahm Lamm im Juni 2022 noch an einer Sonderführung im Museum für Gestaltung Zürich für die beteiligten Gestalterinnen teil und freute sich über die Bewunderung, die ihr entgegengebracht wurde. Im Oktober 2024 wurde sie als Ehrenmitglied in die renommierte Alliance Graphique Internationale aufgenommen.
Nun ist Lora Lamm am 16. März in Zürich verstorben. Freundlich-bestimmt und mit leisem Humor wies sie bis zuletzt jeden Versuch zurück, ihre Unabhängigkeit zu früh einzuschränken. Nur kurze Zeit musste sie noch auf der Pflegeabteilung verbringen. Ihrem Credo, sich ohne Angst selbst zu sein, ist sie bis zuletzt treu geblieben. Es sind ihre Arbeiten, die sie in Erinnerung halten und über die sie treffend sagte: «Es braucht das leise Lächeln, nicht das schallende Gelächter.»